Der Lago Ranco ist gut für die Seele, sagen die Nachkommen der Mapuche Indianer. Ein Ort der Ruhe. Des Ankommmens. Er ist die Waschanlage, die dich von Schmutz wie First World Problemen und anderem angesammelten Seelenmüll unserer „modernen“ Welt befreit.
Ein Ort, der nur in wenigen Reiseführern beschrieben ist. Dafür ist er nicht hip und aufregend genug. Ich finde ihn aufregend schön. Im Sommer fallen die nach Erholung dürstenden Massen über die Regionen des kleinen Südens (BioBio, Araucania,Los Lagos, Los Rios) her wie Fliegen über einen frischen Kuhfladen. Nach Pucón, Puerto Veras, Frutillar oder Villarica, denen der Tourismus im Sommer zwar ordentlich Pesos in die Kassen, den Charme aber aus den Orten spült.
Gerade der schwarze Vulkanstrand Pucóns hat im Sommer erschreckende Ähnlichkeit mit dem mallorquinischen Ballermann. Schrecklich laute Musik, Sonnenschirm an Sonnenschirm, Handtuch an Handtuch. Ein Eismann stampft „Helado, Helado“ schreiend im Slalom durch den heißen Sand. Wie an einer Perlenkette aufgereiht zeigt sich hier die Schwarmdummheit der Menschen in ihrer vollen (halbnackten) Pracht. Während rundherum einzigartige Natur zum Entdecken aufwartet, quetscht sich hier die Masse an den Strand. Die meisten Chilenen fühlen sich wohl unter Ihresgleichen und der Weg vom nahegelegenen Hotel zum Strand bleibt die einzige sportliche Betätigung des Tages. Zum Glück ist diese Region groß genug, um den Massen zu entfliehen.
Wer sucht, der findet. Kleinode wie der Lago Ranco und die im See liegende Isla Huapi. Orte, die dich verzaubern mit Naturbelassenheit, Ursprünglichkeit, Traditionen. Einer Landschaft, geprägt von rauchenden Vulkanen, jahrtausendealten Araukarien- und Südbuchenwäldern – es ist eine Welt des stillen Glücks, der Zufriedenheit mit allem, was man nicht braucht.
Sechs Uhr morgens. Mein chilenischer Freund Daniel und ich brechen früh auf und machen uns auf den Weg nach Futrono, der Provinzhaupstadt am Lago Ranco. Während der Busfahrt bemerken wir den Unterschied zu den letzten Tagen, die wir im kleinen Süden Chiles, dem Gebiet, das sich von Temuco bis Puerto Montt erstreckt, unterwegs sind.
Touristen Fehlanzeige. Ungläubig schaue ich mich um. Der Bus, der von Rio Bueno aus nach Futrono abfährt, ist überschaubar gefüllt. Einheimische Arbeiter mit müden, faltigen Gesichtern, eine chilenische Großstadtfamilie aus Santiago und ein paar hibbelige Kinder mit Badeutensilen befinden sich auf den Sitzen neben uns. Ich spüre neugierige Blicke und in diesem Moment wird mir bewusst, dass sich nur wenig Reisende hierher verirren. Welch ein Glück.
Futrono – Wolken aus Rauch
Futrono ist eine kleine Stadt mit einem ebenso kleinen, unasphaltierten Bus-Terminal. Der Name der Stadt entstammt dem Wortschatz der damals hier ansässigen Mapuche- Indianer. “Futronhue” bedeutet Ort mit Wolken aus Rauch. Um Weideland für ihr Vieh zu schaffen, haben die Kolonisten damals große Flächen Wald niedergebrannt. Wir schlendern die einzige Hauptstrasse entlang. Wer hat an der Uhr gedreht? Man fühlt sich in eine andere Epoche versetzt, so ursprünglich und verhalten wirkt die Stadt. Futrono, das sind staubige Schotterstrassen, ein Supermarkt und der Viehhandel, der die Infrastruktur rund um den See zumindest ein wenig belebt.
Zwei alte Männer sitzen rauchend in der Sonne auf einer verblichenen grünen Holzbank und beobachten schweigsam die Umgebung. Die Menschen hier sind keine großer Worte. Die Schönheit der Natur spricht für sich.
Wir sind auf der Suche nach essbarem und entdecken ein kleines, etwas kitschig dekoriertes Café – Eco-Roots. Wir sind die einzigen Gäste an diesem Vormittag und werden von Inhaberin Maria überschwänglich begrüßt. Selbst im chilenischen Hochsommer verirren sich nicht allzu viele Gäste in ihren Laden.
„Wir wollen kein zweites Pucón werden!“
„Das macht mir nichts aus, wir wollen kein zweites Pucón werden, meint sie lächelnd, während sie uns ihren herrlich duftenden, frisch gebackenen Karottenkuchen serviert. Sie backt mit organisch angebauten regionalen Zutaten. Die Menschen hier sind stolz auf ihre Produkte. Biosiegel und Ökoläden kennen sie nicht. Ganz selbstverständlich produziert man hier im Einklang mit der Natur.
Ich werde unruhig. Der See, den ich von der Strasse aus sehe, wirkt wie ein Magnet. Eingebettet in das saftigste und wahrhaftigste Grün, das man sich vorstellen kann. Grüne Hügel & Wälder, die weißen Gipfel der Andenkordillere als Stimmungsmacher im Hintergrund und der saphirblaue See als Hauptdarsteller.
Die Fahrt zur Isla Huapi
Inmitten des Sees befindet sich die Isla Huapi, die seit Jahrhunderten von den Huilliche Indianern bewohnt wird. 900 Menschen leben dort fernab von dem, was wir Zivilisation nennen. Da will ich hin.
Wir begeben uns zum kleinen Fährhafen von Futrono. Hier warten die Inselbewohner auf die Ankunft der Fähre. Wir reihen uns ein. Und werden Zeugen eines traurigen Schauspiels, das sich kurz darauf ereignet. 4 breitschultrige Kerle versuchen mit vereinten Kräften, einen mächtigen Ochsen zum Anleger zu bewegen bzw. zu ziehen.
Das arme Tier ist am Schwanz und den Hörnern mit dicken Seilen versehen, an denen vehement gezogen wird. Das Tier wehrt sich sichtlich mit allen Kräften gegen die bevorstehende Überfahrt und rutscht auf dem glitschigen Boden immer wieder aus. Jeder schmerzverzehrte Aufschrei des Ochsen geht mir durch Mark und Bein. Letztlich verliert er den Kampf gegen Hulk und seine Brüder und muss mit.
Auch auf dem Schiff selbst findet er wenig Halt. Hufe und Metallboden sind keine gute Kombination. Erschöpft kauert er sich in einer Ecke zusammen. Die Überfahrt dauert 45 Minuten und man erhält einen ersten Eindruck dieser Landschaft, die einen oft an den Norden Europas erinnert.
Isla Huapi mit Kiki, dem Inselhund
Angekommen auf der Insel geht es in eine Art Gemeindezentrum. Hier treffen sich die Dorfbewohner, die sonst eher isoliert und verteilt auf der Insel wohnen. Hier wird gefeiert, geplaudert und zusammen gegessen. Wir probieren Milcao, eine Art Kartoffelplätzchen mit Honig für umgerechnet 0,80 €.
Gestärkt starten wir unsere Wanderung über die Insel. Erstes Ziel ist der Cerro Treng-Treng, die höchste Erhebung der Insel und heilige Zeremonienstätte der Huilliche. Unser Begleiter ist ein Inselhund, den wir auf den Namen Kiki taufen. Es scheint, als wäre er stolz, uns seine Insel zu zeigen. Ein treuer Guide und dazu noch sehr günstig. Er gibt sich mit einigen Scheiben Käse aus unserem Proviant zufrieden und weicht uns bis zur Abfahrt nicht mehr von der Seite.
Auf verstaubten, unbefestigten Wegen geht es vorbei an den für die Region typisch gold schimmernden Feldern, an dichten Nebelwäldern, Bambushainen und riesigen Baumfarnen.
Schafe blicken uns neugierig hinterher. Die gibt es hier zuhauf. Hin und wieder kreuzt ein Bauer mit Ochsenkarren unseren Weg. Auf der Autofreien Insel sind sie Taxi und Lastentransport in Einem. Langsam sind sie auch, aber das stört auf einer zeitlosen Insel keinen.
Die Isla Huapi lehrt seinem Besucher Stille und Besonnenheit. Ich fühle mich frei, entschleunigt und bewege mich im Rhythmus der Insel. Spüre den kühlen Ostwind der Andenkordillere, der mich auf meinem Weg zum Aussichtspunkt der Insel begleitet. Oben angekommen setze ich mich auf einen Felsen und genieße den Ausblick. Wolkenverhangen liegt mir der See zu Füßen.
Vor unserer Weiterreise möchten wir noch einem Mythos der Insel auf den Grund gehen. Am Piedra Bruja, dem Hexenfelsen. Dieser befindet sich nahe der Cuevas de Weichafe, einem Höhlensystem, in dem die Huilliche Schutz vor den Eroberern gesucht haben und das von einem Geist beschützt wird. Eine Legende, wie sie hier im Süden Chiles im Überfluss existieren. Es scheint am Zusammenspiel langer regenreicher Winter und der einsamen Natur zu liegen, dass sich die Menschen hier solche Geschichten überlegen.
Wer den Piedra Bruja besteigt, so erzählen die Leute hier, erhält ein langes Leben. Sehr gerne, denke ich. So habe ich mehr Zeit, solch magische Orte wie den Lago Ranco zu besuchen. Auch Kiki möchte lange leben und flitzt zwischen den Felsen hin und her.
Am späten Nachmittag verabschieden wir uns von unserem neuen vierbeinigen Freund und nehmen wir die letzte Fähre zurück nach Futrono, wo wir direkt am Anleger im Hostal Puerto Futrono (DZ mit Frühstück 35 €) übernachten. Zuvor gönnen wir uns noch ein Bier auf der Terrasse und der See schenkt uns gratis obendrauf einen traumhaften Sonnenuntergang. Als würden Himmel, See und Erde in Gelb- und Rottönen ineinanderfließen.
Am nächsten Morgen brechen wir auf nach Llifén, einem kleinen Ort am Ostufer des Sees. Hier besuchen wir den Wasserfall Salto de Rio Nilahue. Der gleichnamige Fluss ist ein Paradies für Wildwasser Kajak. Da dieser wilde, ungezähmte Fluß nur für echte Pros geeignet ist, beschränken wir uns lieber auf das Erkunden des Ufers, pflücken reife Himbeeren und knipsen ein paar schöne Bilder des Wasserfalls.
Warum die Orte hier eigentlich alle so komische Namen haben? Die kommen allesamt von den Mapuche Indianer und man findet die teilweise unaussprechlichen Orte im ganzen Süden Chiles. Der Region, in der auch du deinen ganz persönlichen Lieblingsort finden kannst. Ich habe ihn schon gefunden. Gracias, Lago Ranco!
Anfahrt zum Lago Ranco
Den Lago Ranco erreichst du von Valdivia aus mit dem Bus über Rio Bueno. Um den See fahren regelmäßig regionale Busse nach Llifén und Lago Ranco. Einfach am Terminal in Futrono fragen. Auf die Isla Huapi kommst du mit der Fähre, Hinfahrt um 9:30 & 12:30 Uhr, zurück geht es um 16 & 19 Uhr ( 2200 CLP = 2,90 € Hin und Rückfahrt)
0 Kommentare
Toller Beitrag 🙂 Klingt genau nach so einem Ort, den wir auf unseren Reisen zu finden hoffen. Die Bilder strahlen viel Ruhe aus…
Hallo Anna, das freut mich! Einer der vielen unbekannteren Orte die es in Chile zu entdecken gibt 🙂
Ich finde den See auch schön – so schön unaufgeregt. Für solche Plätze habe ich ein Faible. Toller Tipp!
Vielen Dank, Eva! Der See ist traumhaft!