In einem einfachen Holz-Kanu und mit einem Paddel als einzigen Antrieb den Amazonas zu befahren ist nicht nur abenteuerlich, sondern auch gefährlich. Denn ein Kanu inmitten des Amazonas bietet nur wenig Schutz.
Doch ich, Torben Landskrone, hatte genau diesen Traum und startete im Grenzgebiet zwischen Kolumbien und Brasilien, um von dort aus mit meinem Kanu auf dem wohl mächtigsten Fluss der Welt die über 1600 Kilometer flussabwärts liegende brasilianische Stadt Manaus zu erreichen.
Warum macht man so etwas?
Das erste Mal geriet ich in den betäubenden Bann der Welt Amazoniens, als ich mit einundzwanzig Jahren den südamerikanischen Kontinent bereisend nach Belém, der Stadt am Amazonasdelta, kam. Getrieben von dem Wunsch, Brasilien auf dem Land- und Wasserweg zu durchqueren, schien mir der Weg auf dem großen Strom quer durch den Regenwald der praktikabelste und erregendste.
So kam es folglich, dass ich mich eines Morgens in einer Hängematte liegend an Deck eines der bunten Amazonasdampfer wiederfand und mit aller Gemütlichkeit den mächtigen Fluss tagelang aufwärtsfuhr und verträumt die einzelnen, idyllischen Holzhäuser und kleinen Kanus der Einheimischen beobachte. Doch merkte ich schnell, dass ich nicht nur den Fluss auf einem Dampfschiff entlangfahren wollte, sondern ich wollte ihm ausgesetzt sein, mit ihm fahren und für meinen bescheidenen Teil sogar von ihm leben.
Und so kam es, dass ich – von dem Gedanken regelrecht besessen – den Entschluss fasste, diesen majestätischen Fluss auf die ursprünglichste und natürlichste Art zu erleben, die mir in den Sinn kommen konnte. In einem traditionellen Holz-Kanu und mit einem Paddel als Antrieb. Es war also beschlossene Sache, dass ich aus eigener Kraft vor der brasilianischen Grenzstadt Tabatinga aus den Amazonas befahren würde. Ich fing an zu planen.
Die Vorbereitung
Der erste Schritt war alle verfügbaren und meines Erachtens relevanten Reiseberichte zu lesen – zeitgemäße, aber auch historische. Doch schnell merkte ich, dass fast jeder dieser Berichte von Unternehmungen handelte, die groß und kostspielig angelegt waren und bei denen vor allem stets Beiboote die Hasardeure und Abenteurer begleiteten. Ich wollte jedoch aus eigener Kraft den Fluss befahren und konnte mir auch selbstredend keine Beiboote oder Mannschaft leisten.
Ich erstellte folglich eine Liste mit vielen Fragen, zu welchen es Antworten zu finden galt und ordnete die Liste danach, ob ich dies in Deutschland vorbereiten konnte oder ob dies erst vor Ort möglich war. Es ging um die Wahl der richtigen Ausrüstung, das Bestimmen der Reisezeit, Ausloten und Bewerten von Gefahren, Besorgen der notwendigen Medikamente, Festlegen der konkreten Reiseroute und vielem mehr.
Insbesondere die Reisezeit spielte eine wichtige Rolle. Ich wählte Anfang Mai und damit das Ende der Regenzeit, denn dies bedeutete, dass der Fluss noch eine kräftige Strömung und bevorzugte Wasserwege aufweist, man jedoch mit etwas weniger Regen rechnen konnte. Ich besorgte mir relevante Medikamente, fertigte wochenlang Karten an und machte mich letztendlich auf den Weg nach Brasilien in der Hoffnung an alles gedacht zu haben.
Unerwartete Überraschungen vor dem Start
In Brasilien angekommen begab ich mich als erstes gemeinsam mit einem Dschungelführer für eine Woche in den Regenwald, um diesen am eigenen Leibe kennen zu lernen. Es waren wichtige und aufschlussreiche Tage. Wir angelten Piranhas, fingen Kaimane, bauten Nachtlager und ich gewöhnte mich ein wenig an den Wald.
Vor dem Start stand ich jedoch vor zwei relevanten Herausforderungen. Die erste war die Legalität. Denn es stellte sich heraus, dass Ausländer für das Befahren des Amazonas eine Genehmigung brauchen, welche ich keinesfalls zeitnah bekommen würde – denn dazu gehörte vor allem das Anbringen eines Motors. Die zweite Herausforderung war es überhaupt ein passendes Kanu zu finden. Ich machte mir viele Gedanken darüber, welche Konfiguration eines Holz-Kanus ich brauchen würde – Länge, Breite, Tiefe, aber vor allem brauchte ich eine kleine Dachkonstruktion an welchem ich meine Hängematte befestigen konnte. Es dauerte fast eine Woche, bis ich das passende Kanu erstanden hatte – denn meistens werden Holz-Kanu auf Bestellung angefertigt – und das Problem der Legalität wurde dadurch gelöst, dass ich mich einfach ohne eine Genehmigung aufmachte.
Die größte – und zum Glück positive – Überraschung war jedoch, dass ich kurz vor Abfahrt Rob, einen Engländer, traf, der ähnliche Pläne wie ich hatte und ebenfalls mit einem Kanu den Amazonas befahren wollte. Vom Zufall überrascht beschlossen wir die Reise gemein anzutreten und ich hatte nun einen Kumpanen, was vieles, wenn nicht sogar alles erleichterte.
Wie sieht der Alltag einer solcher Reise aus und wie isst und schläft man im und auf dem Amazonas?
Es dauerte einige Tage bis wir unseren Rhythmus fanden, doch dann stellte sich tatsächlich so etwas wie Alltag ein. Der oft drei bis fünf Kilometer breite Fluss wird zwar im Laufe der Zeit nicht weniger imposant, doch gewöhnt man sich daran über Stunden hinweg zu Paddeln und den enormen Fluss zu kreuzen, um zum Beispiel zu Siedlungen zu gelangen, welche am anderen Ufer liegen.
Wir aßen Proviant, welchen wir circa alle fünf Tage in kleineren Siedlungen aufstockten. Gekocht wurde auf einem Benzinkocher – denn Benzin gibt es auch am entlegensten Ort der Welt.
Ich schlief in einer Hängematte, oft gespannt auf meinem Boot aber auch zwischen Bäumen im Wald. Rob hatte ein Zelt, was meiner Meinung nach eine falsche Wahl war. Denn der Wald rings um den Fluss ist besonders zu dieser Jahreszeit stets überflutet und so musste Rob oft damit vorliebnehmen einfach in seinem Kanu zu schlafen – mit nur dürftigem Schutz vor Insekten.
Das Finden eines passenden Nachtlager war täglich die größte Herausforderung, denn man musste vor Sonnenuntergang unter einem Insektennetz sein. Oft schafften wir es jedoch auf den einsamen Grundstücken einzelner Familien zu schlafen, welche uns gastfreundlich aufnahmen.
Die Gefahren durch das Wetter, die Tiere und die Menschen
Auf dem Fluss gibt es viele Gefahren. Doch die vorherrschenden sind durch das Wetter und den Menschen verursacht. Oft sind wir in schwere Tropenstürme geraten und eines Nachts wurden wir so heftig von einem Sturm überrascht, dass wir drohten zu kentern und letztendlich gezwungen waren in einem Schilffeld, umgeben von Kaimanen, flachliegend in unseren Kanus zu schlafen – eine der schwierigsten Nächte. Die Gefahren, welche von Tieren ausgehen sind zu vernachlässigen – lässt man einmal die Moskitos außen vor. Denn in einem Kanu ist man relativ sicher. Nur ins Wasser fallen sollte man nicht, wenn man an Kaimanen vorbei rudert.
Auch wenn fast alle Menschen denen wir begegneten hilfsbereit und freundlich waren, so reicht eben schon eine böswillige Person, um unsagbares Unheil zu bringen. So war dies leider auch bei uns. Eines Tages hielt ein kleines motorisiertes Boot neben uns, es wurden Waffen auf uns gerichtet und Piraten raubten uns aus und erbeuteten unseren gesamten Besitz – inklusive unserer Paddel, sodass wir nun manövrierunfähig und ohne Ausrüstung auf dem Amazonas trieben…
Doch auch hier fanden wir letztendlich Hilfe von den vielen freundlichen Bewohnern Amazoniens, für welche ich noch immer dankbar bin.
Sollte man eine solche Expedition wirklich machen?
Meine Antwort darauf lautet wenig überraschend Ja. Der Amazonas das beeindruckendste Biom des Planeten und eine eigene, nahezu verzauberte Welt. Doch ist dieser traumhafte Regenwald stark gefährdet. Ob illegale (oder auch legale) Holzfäller, rodende Weidebauern und Goldgräber, die mit Quecksilber die Flüsse vergiften; sie alle zerstören den Regenwald. Und jeder, der Aufmerksamkeit schaffen kann rettet den Urwald ein kleines bisschen mehr.
Doch darf man die Strapazen nicht unterschätzen. Dies ist kein einfacher Backpacking-Trip, es gibt kaum medizinische Versorgung, die Natur ist überwältigend und man muss sich – das weiß ich nun leider aus eigener Erfahrung – unbedingt auf den absolut schlimmsten Fall vorbereiten. Auch sollte man mehrere Monate für eine solche Reise einplanen. Denn der Amazonas ist groß und wenig verläuft nach Plan.
Es muss nicht immer gleich der Amazonas sein
Wer jedoch schon jetzt ein bisschen Abenteuer erfahren will, kann sich einfach eine Hängematte besorgen und einmal eine Nacht alleine in einem heimischen Wald schlafen. Dort kann man dem Bellen der Füchse, Stapfen der Wildschweine und Knistern unter der Hängematte lauschen, wenn wieder eine Maus vorbei huscht.
Wenn man sich dann vorstellt, dass die Maus eine Schlange und der Fuchs ein Jaguar sei, merkt man schnell, dass ein Wald bei Nacht – egal ob Schwarzwald, Pfälzerwald oder der tropische Regenwald – immer abenteuerlich und aufregend ist.
Über den Gast Autor: Torben Landskrone
1990 in einer kleinen Stadt in der Pfalz geboren zog es Torben schon oft in die Welt. Als Jugendlicher lebte er für einige Zeit in Texas, arbeitete für mehrere Monate in London und studierte in der philippinischen Hauptstadt Manila. Zudem unternahm er eine Vielzahl von Kulturreisen, unter anderem nach Usbekistan, Georgien, in den Iran, durchfuhr in Myanmar Rebellenregionen mit dem Motorrad und verbachte viele Monate in Süd- und Mittelamerika.
Nach Abschluss seines Ingenieursstudiums machte er sich 2016 abermals nach Brasilien auf, um den Amazonas in einem Holz-Kanu zu befahren. Aktuell lebt und arbeitet Torben in Kopenhagen. 2021 hat Torben seine Amazonasreise in dem Buch: „Aufbruch Amazonas: In einem Holz-Kanu auf dem mächtigsten Fluss der Welt“ veröffentlicht. Das Buch von Torben kannst du bei Amazon kaufen.