Wenn Chilenen von der schönsten Stadt Chiles sprechen, fällt die Wahl oft auf Valdivia. Die Perle des Südens besticht vor allem durch ihre herrliche Lage am Delta des Rio Valdivia, der jugendlichen Energie und seiner deutschen Traditionen.
Irgendwie kommt es mir hier bekannt vor. 6 Uhr morgens. Ich bin gerade aufgewacht und blicke durch den schmalen Spalt des Vorhangs am Busfenster. Eine sanft hügelige Landschaft mit saftig grünen Wiesen und schwarz-weiß gefleckten Kühen darauf zieht schemenhaft vorbei. Ich richte mich auf, ziehe den Vorhang weiter auf und beobachte die Szenerie. Ein Schild mit selbst gepinselter „Kuchen“ Aufschrift steht in der Einfahrt eines kleinen Holzhauses. Eine Erinnerung schwirrt durch meinen Kopf. Weit zurück an den Urlaub in den Ferien mit Oma & Opa in sämtlichen deutschen Mittelgebirgen. Dort sah es doch auch so aus. Träume ich noch? Eben noch in Chiles Hauptstadt Santiago und nun…Sauerland?
Ich werde wacher und die Gedanken klarer. Sur Chico. Der kleine Süden. So nennt sich dieses Gebiet, in dem sich die Region Los Rios mit seiner Hauptstadt Valdivia befindet. Eine Region, die viel mit Deutschland verbindet, nicht nur landschaftlich, sondern auch kulturell. Wer wissen möchte, wie Deutschland vor 100 Jahren ausgehen hat, sollte mal in den kleinen Süden fahren, habe ich gelesen. Und die Parallelen sind offensichtlich.
Valdivia – Leben am Fluß
Der Bus fährt in das Terminal de Buses von Valdivia, der wichtigsten Universitätsstadt im Süden Chiles. Alles wirkt aufgeräumter und organisierter als im Rest des Landes. Ich starte meinen Erkundungsspaziergang am Ufer des Rio Valdivia, das direkt gegenüber liegt. Ruhig liegt mir der Fluß zu Füßen, die letzten Nebelschwaden ziehen mystisch über das tiefe Blau und die ersten Sonnenstrahlen erhellen mein Gemüt.
In den kommenden Tagen wird mir die innige Liebesbeziehung zwischen der Stadt und dem Fluß bewußt. Er ist Lebensader, Symbol und Ausflugsziel zugleich. Er zieht die Menschen an wie ein Magnet. Hier wird sich verabredet, geküsst, flaniert, gepicknickt, gejoggt und gerudert. Es finden Freiluftkonzerte statt und alle paar Meter werden Bootstouren von aufdringlichen Promotern angeboten. Im chilenischen Sommer ist Valdivia ein allzu beliebtes Urlaubsziel der von Hitze geplagten Hauptstädter und Nordchilenen.
Morgendliches Markttreiben am Rio Valdivia
Ich betrete die Feria Fluvial, den lebhaften Markt im Süden der Valdivia-Brücke. Schon frühmorgens sind die Händler fit wie ein Turnschuh und hieven bis an den Rand gefüllte Kisten voller Fisch, Fleisch und allerlei Obst & Gemüse mit Leichtigkeit von rechts nach links. Die Touristen kommen erst später. Zu Tagesanbruch hat man den Markt abgesehen von einheimischen Hausfrauen und Köchen für sich alleine. Gemüse wird sortiert, Obst angeschnitten, Preise verhandelt. Die Fischhändler sind mit scharfen Klingen dabei, den frischen Fang des Morgens in verkaufsfähige Portionen zu stückeln.
Die Überreste landen wieder im Fluß, wo Seelöwen, Pelikane, Falken und Möwen ihr Paradies gefunden haben und sich am reichlich gedeckten Tisch bedienen. Sobald ein abgetrennter Fischkopf über die Promenadenmauer fliegt, beginnt der unerbittliche Kampf um die begehrte Mahlzeit. Mit lautem Brüllen machen die Seelöwen klar, wer hier am Fluß das Sagen hat. Allerdings haben die Vögel einen entscheidenden Geschwindigkeitsvorteil und so landet mehr in den Schnäbeln als den an Land schwerfälligen Kolossen lieb ist. Die Stadt hat sich das Spektakel zunutze gemacht und eine Plattform für die Tiere errichtet. Und so versammeln sich hier an der Costanera Tag für Tag hunderte von Touristen, um dem Schauspiel der Seelöwen und Möwen beizuwohnen.
Deutsches Flair & koloniale Hinterlassenschaften
Zum Frühstück geht es ins altmodische Café Haussmann. Das Ambiente könnte deutscher nicht sein. Eine dunkle Theke, aufwendig verzierte Bierkrüge und allerlei Nippes mit deutschen Aufschriften. Auch die Spezialität des Hauses ist, wie sollte es anders sein, ziemlich deutsch: Mettbrötchen. Dazu gibt es jede Menge leckeren „Kuchen“, der im chilenischen Süden genauso heißt wie bei uns.
Ich mache ich mich auf die Spuren meiner Landsleute, die vor 150 Jahren diese Gegend besiedelten. Ich stelle mir bildlich vor, wie sie mit großen Augen, unerschütterlichen Pioniergeist und einer großen Portion Hoffnung hier landeten und das unbekannte Land und die unberührte Natur sich vor ihnen ausbreitete. Die klippen-und felsenreiche Küste, gigantischen Farne, der südchilenische Urwald mit seinen mächtigen Araukanien, eine der ältesten Baumfamilien der Welt.
Isla Teja – die Blumeninsel mit deutscher Geschichte
Ich überquere die Brücke auf die Isla Teja, wo mich eine blühende Gartenlandschaft erwartet. Mittendrin ein beigefarbenes Herrenhaus mit rotem Giebeldach, die Casa Anwandter, in dem sich das Mueso Histórico y Antropologico befindet. Es widmet sich der bewegten Vergangenheit von Valdivia. Hier finden sich Kunstgegenstände der hier ansässigen Mapuche-Indianer, Haushaltsgegenstände deutscher Einwanderer, Stammbäume und einige Exponate vom Herr des Hauses, Carl Anwandter. Der Name ist in Valdivia allgegenwärtig. Der deutsche Apotheker und Politiker emigrierte 1850 mit dem Hamburger Segelschiff Hermann nach Chile, wo er am 13. November 1850 mit einer Gefolgschaft von 95 deutschen Einwanderern im Hafen von Corral nahe Valdivia an Land ging.
1851 gründete er die Brauerei Anwandter (Cervecería Anwandter) auf der Isla Teja (eine zu Valdivia gehörende Halbinsel), die erste Brauerei des Landes. Doch damit nicht genug. Der umtriebige Anwandter rief 1852 die auch heute noch bestehende Feuerwehrkompanie Germania ins Leben, 1853 den Deutschen Verein Club Alemán und 1858 die Deutsche Schule, deren Direktor er bis 1876 war und die bis heute seinen Namen trägt (Instituto Alemán Carlos Anwandter).
Seerosenzauber im Parque Saval
Vor mir liegt der Parque Saval, ein beliebtes Ausflugsziel der Valdivianos. Dieser hübsch angelegte Landschaftsgarten ist die Heimat tausender Seerosen, die sich mit beeindruckender Schönheit und Eleganz auf der Laguna de los Lotos wie ein Teppich ausgebreitet haben.
Wer mehr Action will, findet hier eine Canopy Strecke, auf der man den Park von hoch oben durchgleiten kann. Ich folge dem kleinen Wanderweg, der an der bewachsenen Uferlinie entlang führt und gelange zum Parque de las Esculturas, in dem aus Holz geschnitzte Kunstwerke zur Schau gestellt werden.
Leckeres Essen und selbstgebrautes Bier findet man gleich um die Ecke in der gemütlichen Bar Bundor.
Valdivia und das Bier
Apropos Bier. Das gehört zu Valdivia wie der Dom nach Köln. Über allem steht natürlich das überall in Chile bekannte Kunstmann, das mit dem Slogan „Das gute Bier“ wirbt und mein erster deutscher Berührungspunkt in Chile war. Neben diesem und anderen Großproduzenten gibt es jedoch viele kleine Mikrobrauereien in und um Valdivia, die die hiesige Barszene um viele leckere Gerstensäfte bereichern. Besonders beliebt bei den Studenten der Stadt ist das Cuello Negro, das in vielen angesagten Bars und Restaurants ausgeschenkt wird.
Ich möchte jedoch erstmal erleben, wie es in der Cerveceria Kunstmann, einige Kilometer ausserhalb der Isla Teja, zugeht. Dieses riesige Restaurant mit der angeschlossenen Brauerei ist für viele Chilenen der Höhepunkt ihrer Reise in den Süden. Traurig, aber wahr. Es werden sich alberne Kunstmann Papierhüte aufgesetzt, überteuerte pseudodeutsche Gerichte gegessen und dabei natürlich ordentlich tief ins Glas geschaut.
Die Bandbreite an Bier ist ziemlich beeindruckend. Gefiltert, ungefiltert, Bock, Doppelbock, Amber, rot, weiß, schwarz. Ich bin überfordert und wer mich kennt, weiß, dass ich mich mit solchen Ballermann, Festzelt und Kirmesveranstaltungen nicht wirklich anfreunden kann. Nach einem Bier trete ich den Rückzug an und überlasse der bereits auf einen freien Platz wartenden Masse die Theke.
Niebla & Corral
Ich schnappe mir an der Costanera einen Bus nach Niebla, die hier im Minutentakt vorbei rasen. Der kleine Ort liegt einmalig schön auf einer Landzunge, wo der Rio Valdiva in den Pazifik mündet. Bunte Häuschen liegen dekorativ in den grünen Anhöhen. Verblasste Fischerboote schaukeln in der Brandung und der pechschwarze Strand zieht sich wie ein Gürtel um den ruhigen Ort. Ich setze mich auf einen knorrigen Stamm und genieße die salzige Seeluft und das Schreien der Möwen über meinem Kopf. Dabei erinnere mich gut an die Worte von Pablo Neruda: Chiles Natur macht mich wie trunken.
Einige Zeit später ist es mit der Ruhe erstmal vorbei. In der Feria Costumbrista, einer Halle mit zahlreichen Essenständen geht es zur Mittagszeit zu wie in einem Taubenschlag. Dicht gedrängt stehen chilenische Großfamilien an, um an die günstigen und guten Fischgerichte zu gelangen. Lachs, Seehecht, Fischsuppe, Empandas mit Krabben. Die Auswahl ist groß und letztlich entscheide ich mich für eine herzhafte Paila Marina, eine Fischsuppe, die hier im Süden besonders gut schmeckt.
Corral – die größte Festungsanlage Chiles
Mit dem Boot setze ich über nach Corral, wo die größte und am besten erhaltene Befestigungsanlage der Spanier, das Castillo de Corral steht. Insgesamt bauten die Spanier 17 Forts um Corral und Valdivia. Ein massives Bollwerk aus Verteidigungslinien gegen die chilenischen Unabhängigkeitskämpfer, Indianer- und Piratenangriffe. Die Anlage besteht aus der Castillo San Sebastían de la Cruz, Castillo de la Pura y Limpia Concepción de Manfort de Lemus (Fuerte Niebla) und Castillo San Pedro de Alcántara auf der Insel Mancera.
Das Castillo San Sebastian versinkt zweimal am Tag in Pulverdampf der Kanonen, wenn die Schlacht zwischen Spaniern und Chilenen in historischen Gewändern nachgespielt wird. Ich klettere über die zerfallenen Befestigungswälle und genieße den Ausblick über die Mündung , das tosende Meer und die Ausläufer des immergrünen valdivianischen Regenwaldes. Eines muss man den Spanier trotz ihrer Gräueltaten lassen: Sie hatten ein Faible für magische Orte.
Anreise nach Valdivia
Mit dem Nachtbus kommst du von Santiago täglich in 11 Stunden nach Valdivia. Die Stadt wird von verschiedenen Busgesellschaften angefahren. Für die Nachtfahrt solltest du die bequemere Salon Cama Variante buchen. Online kannst du die Tickets bei Recorrido kaufen.
Empfehlenswerte Unterkunft in Valdivia
- Hostel Bosque Nativo – Tolle Lage und gutes Frühstück (Dorm ab 12€, DZ ab 25€)
Essen & Trinken
- Cafe Haussmann – Altmodisches deutsches Cafe. Sehr leckere Kuchen und wer es mag, Mettbrötchen. (O’Higgins 394)
- El Growler – Schön eingerichtete Restobar auf der Isla Teja mit eigener Brauerei und vielen leckeren Craft Bieren (Saelzer 41)
- La Ultimá Frontera – hippes, alternatives Cafe & Restaurant mit leckerem Essen und viel kreativem Charme (Vicente Pérez Rosales 787)
- Café Moro – supergünstige und leckere Mittagsmenüs. Abends eine Bar mit gemischtem Publikum. (Libertad 174)
- Chocolatería Entrelagos – Eis, Pralinen, Torten und allerlei andere süße Sünden in exzellenter Qulität.
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9 Kommentare
Ich wollte heute die Restobar „El growler“ besuchen. Leider ist diese im Dezember 2023 abgebrannt 🙁 Ich bin als Alternative in die „Bar Bundor“ eine Straße weiter – war super !
Habe ich gehört 🙁 Danke für die Information mit Bar Bundor! Viele Grüße
Hallo Daniel, vielen Dank für diese schöne Beschreibung. Ich bin gerade in Los Muermos bei Puerto Montt und möchte nächste Woche nach Valdivia fahren. Nach deinen Zeilen habe ich einen super Vorgeschmack bekommen und freue mich jetzt sehr, die Stadt znd Umgebung selbst zu erkunden.
Das freut mich! Viel Spass in Valdivia!
Hola Daniel,
nun bin ich auch in Valdivia gewesen und es hat mir sehr gut gefallen. Sehr gut war Dein Tipp den Nachtbus von Valparaiso zu nehmen, was sehr bequem war.
Auf der Isla Teja habe ich übernachtet und dort gibt es eine kleine deutsche Bäckerei und dort gab es FRANZBRÖTCHEN !!!
Auch Dein Tipp einfach mit dem Bus nach Nieblaund Corral zu fahren, was klasse. Hat mir einen wunderschönen Tag gebracht.
Nun geht es weiter von Puerto Montt nach Villa o’Higgins, wo ich den ganzen Dezember unterwegs bin. Ein Weihnachtsgeschenk für mich selber.
Grüße Maria
Hallo Maria, das freut mich sehr, dass es dir gefallen hat. Viele Grüße und schöne Weiterreise!
Habe eben erfahren, dass mein Grossvater in Valdivia bei einem Verwandten gelernt hat. In der Fabrica der Calzado, Luis Rudloff war sein Name. Das Schriftstück ist von 1913. Wo könnte ich etwas erfahren? Kannst du helfen? Danke Barbarabar
Hallo Barbara, versuch doch mal das Museum in Valdivia anzuschreiben, http://www.museosaustral.cl. Die haben eine große Datenbank an Auswanderern. Viel Erfolg!
Wunderschöner Text! Kann mir so richtig vorstellen, wie es dort war. Eigentlich stand Chile (in Kombi mit Bolivien) dieses Jahr auf meinem Reiseplan, aber ich musste dann doch umdisponieren. Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben und wenn ich Zeit für Chile finde, muss ich auf jeden Fall daran denken, wieder mal auf deinem Blog vorbeizuschauen. Mach weiter so, ich freue mich auf zukünftige literarische Ausflüge 😉 Josi