Reisen verändert Menschen. Das ist keine neue Erkenntnis, aber die Wahrheit und mittlerweile sogar in mehreren wissenschaftlichen Studien eindeutig nachgewiesen. Bei mir trat diese Veränderung mit meiner ersten Reise vor zehn Jahren nach Südamerika ein. Doch wer war ich vor diesen Reisen und wer bin ich jetzt? Zu was für einem Menschen haben mich meine Reisen werden lassen? Ein persönliches Resümee.
Ich bin als Kind dank meiner Eltern schon recht viel gereist. Im orangenen VW-Bully (R.I.P.) ging es immer für mehrere Wochen durch Europa. Meist zum Leidwesen meiner Klassenlehrerin, denn das Kind wurde einfach schon einige Tage vor den Sommerferien der Schule entzogen, um den großen Staus zu entgehen. Ich habe das Leben im Camper geliebt. Jeden Tag neue Orte, neue Einflüsse, neue Menschen, neue Kinder zum Spielen und die Welt war für mich einfach ein riesengroßer Abenteuerspielplatz.
Angepasst? Nein danke!
Wird man dann älter, beginnen die Mühlen des angepassten gesellschaftlichen Lebens zu mahlen. Schule, Uni, Ausbildung, erster Job. Ein klar definierter Weg. Diesem sollte ich natürlich auch folgen, obwohl ich mich in gesellschaftlichen Normen immer mehr als unwohl gefühlt habe. Ich kam mir verloren vor. Ich wollte mehr vom Leben als Reihenhaus, 9 to 5 und Urlaub auf Malle. Also war Rebellion angesagt. Jeans zerschnitten, Dreadlocks gedreht, Doc Martins angezogen. Das ganze Paket und als meine Oma mich nicht mehr in die Wohnung lassen wollte, sah ich mich in meinem Rebellentum bestätigt.
Ich ging immer seltener zu Schule, habe mir die Nächte mit meinen Kumpels um die Ohren geschlagen und fand Musik, Alkohol und Drogen anziehender als Geometrie und Hermann Hesse morgens um 8 Uhr. Bis es einige Jahre in die falsche Richtung ging und ich schmerzlich erfahren musste, dass auch dieser Weg eine Sackgasse ist. Umdrehen oder gegen die Mauer fahren, hieß es zu diesem Zeitpunkt meines Lebens.
Get up, Stand up!
Ich liebe das Leben mit all seinen Facetten und entschied mich für den Turnaround. Doch der Trümmerhaufen der Vergangenheit lag vor mir wie in unbezwingbarer Berg. Psychisch am Boden, Schulden und keine Perspektive. Mit Anfang 20. Da wo andere für ein Jahr ins Ausland gehen, anfangen zu studieren, ihren ersten Schritt ins Berufsleben wagen. Ich hingegen fühlte mich ausgebrannt, leer, wie ein Versager. Reisen war für mich so weit weg wie der Mars. Wo war dieses Kind hin, dass es geliebt hat, neue Dinge auszuprobieren, neugierig und aktiv zu sein?
Zum Glück hatte ich liebende Menschen um mich herum, die mir geholfen haben und denen ich bis heute dankbar bin. Fünf Jahre später. Ich hatte einen Job, eine Wohnung, endlich ein wenig mehr Geld und das Gefühl, dass dieses Kind langsam wieder zurückkehrt.
Eines Tages trat durch Zufall ein Chilene in mein Leben, der mein Leben auf den Kopf stellte und maßgeblich auf positive Art beeinflusst und bereichert hat. An einen Blog war zu dieser Zeit noch nicht zu denken. Ich habe mich in der Zeit auf Musik fokussiert, bin viel auf Parties gegangen und war mit dem zufrieden, was ich hatte. Und doch brodelte etwas in mir – das konnte doch nicht alles sein. Bei Stillstand werde ich bis heute schnell nervös.
Eines Abends habe ich eine Internet Radioshow gehört, in der ein Track lief, der mir nicht mehr aus dem Kopf ging. Ich wollte wissen, wer dahinter steckt. Zu dieser Zeit war Facebook noch ein Hirngespinst in Mark Zuckerbergs jugendlichem Kopf. Myspace war der heiße Scheiß und so suchte und fand ich dort den Musiker. Aus Chile. Chile? Dieses komische lange Etwas am Ende der Welt? Das Land, von dem man hierzulande meist nur etwas mitbekommt, wenn es mal wieder von einem erschütternden Erdbeben heimgesucht wird.
Ich wollte diese Person kennenlernen, war neugierig auf den Menschen hinter der Musik. Gesagt, getan, angeschrieben und prompt eine Antwort erhalten. Wir verstanden uns auf Anhieb sehr gut, schrieben mehrere Wochen hin und her, freundeten uns an und auf seiner Europa Reise besuchte er mich und wir intensivierten unsere Bekanntschaft. “Du musst unbedingt nach Chile kommen und mich besuchen!” waren seine Abschiedsworte. Hell yeah!
Desto weiter ich reise, desto näher komme ich an mich heran.
Andrew McCarthy
Aufbruch in eine neue Welt
Und so saß ich den Winter darauf im Flugzeug in Richtung Chile. Ohne zu wissen was mich erwartet. Mit einer gehörigen Portion Neugier. Das Kind war wieder da. Ich flog das erste mal über die majestätischen Gipfel der Anden. Berge, so weit das Auge reicht. Ich tauchte ein in eine total neue Welt, die mich und meine Persönlichkeit nachhaltig geprägt hat. Doch was hat sich bei diesen Reisen wirklich verändert? Es war eine Challenge. Zu sehen, was ich nach einer schweren Zeit zu meistern im Stande bin. Ob ich meine Komfortzone verlassen kann. Auf Menschen zugehen, mich einlassen kann.
Ich habe viel über Eigenverantwortung gelernt. Ich war auf diesen Reisen für mich selbst verantwortlich, konnte nicht verdrängen, flüchten, mich nicht hinter Ausreden oder anderen Menschen verstecken. Ausreden zählen auf Reisen nicht, vor allem nicht, wenn man es alleine tut. Ich musste meine Komfortzone verlassen, die ich mir aufgrund meiner persönlichen Geschichte aufgebaut hatte und die sich eine zeitlang gut anfühlte. Doch es war Zeit, in die Welt hinaus zu gehen.
Der wohl passendste Vergleich erinnert mich an ans Freibad in meiner Kindheit. Ich stehe am Beckenrand und zack – einer meiner Freunde schubste mich ins kalte Wasser. Im erstem Moment war ich geschockt und verschreckt, doch kurz darauf gewöhnte ich mich an die Situation, schwamm los und das Wasser war auch nicht mehr wirklich kalt.
Einfach los schwimmen. So erging es mir in Südamerika. Neue Eindrücke, eine andere Kultur, aber auch körperliche und seelische Beanspruchung haben meinen eigenen Horizont stetig erweitert. Heute kann ich aufgrund meiner Reiserfahrungen leichter mit schweren Situationen umgehen und lasse mich von Hindernissen und Schwierigkeiten nicht unterkriegen. Anstatt zu meckern und zu hadern, nehme ich Dinge an und versuche sie zu lösen. Ich bin entspannter geworden, weiß, das Leben zu schätzen und zu genießen.
Es fällt mir leichter, auf Menschen zuzugehen, da ich auf Reisen mit einer Vielzahl von ihnen in Kontakt treten muss. Sei es am Busbahnhof, auf dem Markt oder in Hostels. Ich habe Vorurteile über Bord geworfen, meine eigene soziale Kompetenz erweitert und bin demütig geworden, weil ich weiß, welch privilegiertes Leben wir bei uns in Deutschland führen. Ein Leben, das viele als selbstverständlich betrachten. Wir haben die Möglichkeit, unser bestes Ich zu sein, jeden verdammten Tag.
Ich lebe minimalistisch. Ich brauche nicht das zehnte Paar Sneakers in meinem Schrank. Ich lege keinen Wert auf Besitz, sondern bereichere mich an den Erinnerungen und Erfahrungen meiner Reisen. Mein Geld spare ich meist für neue Reisen & Erlebnisse.
Zum Reisen gehört Geduld, Mut, guter Humor, Vergessenheit aller häuslichen Sorgen, und dass man sich durch widrige Zufälle, Schwierigkeiten, böses Wetter, schlechte Kost und dergleichen nicht niederschlagen läßt.
Adolph Freiherr von Knigge
Ich bin jeden Tag dankbar, dass ich die Chance habe, zu reisen und mich so persönlich weiterzuentwickeln. Und ich danke Südamerika, dass es dieses Kind von damals wiederbelebt hat.
Wie ist deine Erfahrung mit dem Reisen? Wie hast du dich persönlich weiterentwickelt? Verrate es mir in den Kommentaren. Dieser Beitrag ist Teil der Blogparade „Reisen verändert“ von Ferngeweht.
15 Kommentare
Ola Daniel,
Schon so ab und an habe ich deine Seite besucht, aber jetzt , wo ich gerade in Morretes bin, hab ich einfach mal Lust, dir zu schreiben.
Du bist als Jungspund losgezogen, aber ich bin Rentnerin und habe auch noch diese unbändige Reiselust. Ich hatte sie schon immer, aber in meiner Generation und als Mädchen haben die Eltern einen Riegel vorgeschoben.
Seit Juni bin ich Rentnerin und schon vor über einem Jahr habe ich angefangen Pläne zu machen, Glücklicherweise bin ich gesund und rüstig , aber in meinem Alter soll man nicht zu lange warten.
Zum Glück habe ich Freunde, hier in Südbrasilien und dass ist immer ein guter Anfang.
Ich bin durch einen Fernsehbericht auf den SERRA VERDE EXPRESS aufmerksam geworden.
Seit gestern bin ich hier, auch noch für 2 weitere Tage. Mir geht es mit diesem Ort wie dir, ich finde ihn ganz zauberhaft.
Aber ich habe noch mehr Träume: Chile, Valparaiso, Carretera Austral….( dazu habe ich schon von dir einiges gelesen).
Am 1.11. fliege ich nach Santiage de Chile und ich wollte erstmal eine Weile in Valpareiso bleiben. Denn einen entscheidenen Vorteil als Rentnerin habe ich: ZEIT !!
Mal sehen, was ich noch alles erlebe.
Vielleicht schreibe ich dir schon bald von Villa O‘ Higgins.
Maria Antonia Lauel
Liebe Maria, ich habe mich sehr über deinen Kommentar gefreut! Ich finde es toll, wenn Menschen auch im höheren Alter noch viel reisen und entdecken. Ich wünsche dir eine ganz tolle Zeit und viele neue Eindrücke, denn die bereichern das Leben mehr als alles materielle. Und vielleicht sieht man sich ja bald mal in Chile, denn ich bin auch bald wieder dort zum Überwintern. Herzliche Grüße Daniel
Super geiler Einblick in deine Erfahrung. Sehr inspirierend. Du trägst mit deinem Text und der Energie, die dieser dem Leser entgegenbringt das kleine Stückchen Mut, was noch fehlt, um doch den Schritt ins Abenteuer zu wagen. Danke. Keep it Up!
Peace and Love
Lieber Daniel,
Dein Artikel liest sich super und ich finde viele Übereinstimmungen!
Liebe Grüße,
Laura.
Lieber Daniel,
ich lese Deinen Artikel durch Zufall, noch verschlafen morgens im Bett. Mit jedem neuen Absatz bin ich höher gerutscht, habe mich aufrechter hingesetzt, mich an meine Kaffeetasse geklammert und dieses Gefühl aufkommen lassen, dass mich jetzt durchfährt. Abenteuerlust! Ausbrechen, neue Eindrücke erlangen, sich wieder spüren, Grenzen erkennen, Demut bekommen.
Danke, Daniel für diesen belebenden Beitrag!
Hallo Daniela 🙂 Ich danke Dir für diesen inspirierenden und schönen Kommentar! Das ist ein gutes Gefühl, dass man mit dem Beitrag dieses Gefühl erzeugen kann. Liebe Grüße aus Mexiko!!
Lieber Daniel,
ein sehr spannender und persönlicher Artikel! Sowas les ich immer gerne 😉
Reisen war für mich schon immer ein wichtiger Bestandteil meines Lebens und nach Lateinamerika ging es auch im Rahmen meine erste große Reise. Gerade von der Gelassenheit und Herzlichkeit der Menschen versuche ich mir immer was abzuschauen. Ganz praktisch lerne ich auch besser mit meiner Ungeduld umzugehen. Denn warten gehört einfach auch zu einer Reise dazu 😉
Liebe Grüße
Marie
Hallo Marie,
Es freut mich, dass Dir der Artikel gefällt. Gelassenheit benötigt man in Lateinamerika auf jeden Fall 😉 Aber letzlich funtkioniert es doch alles wie gewünscht, auch wenn es etwas länger dauert.
Liebe Grüße Daniel
Super Text Daniel und eine gute Frage. Bei mir fing das Reisen als Teenager an, mit 16 erstmals mit meiner besten Freundin alleine auf Ibiza unterwegs. Ab da war klar: ich will reisen, so viel wie möglich, so weit wie möglich. Mit 19 bin ich dann aus meinem Kleinstadt-Nest ausgezogen um in den Niederlanden auf Englisch zu studieren. 1. Studienreise nach Kambodscha! Ab da war es ganz um mich gestehen und ich hörte nie mehr wirklich auf unterwegs zu sein.
Was das mit mir gemacht hat?
Alles! Ich habe Dinge gesehen, die ich mir nie hätte vorstellen können. Bin in Situationen geraten, die mich ans Limit gepusht haben. Die Welt zeigte sich von ihrer glänzenden sowie von ihrer schäbigen Seite. Die Frage ist: wer wäre ich wohl, hätte ich all das nicht erlebt?
Hallo Christina 🙂 Ich denke ja, das es zum Reisen gehört, dass man auch die Seiten sieht, die nicht Glitzer und Glamour sind. Mir ist es wichtig, Authenzität zu erleben und keine abgeschottete Katalogwelt. Und sowas bringt einen dann auch mal an seine Grenzen. Aber das macht Reisen auch letztlich aus. Wer du wärst, wenn du das nicht erlebt hättest? Ich kenne dich nicht, aber sicher anders, oder? 😉
Liebe Grüße Daniel
Hallo Daniel,
danke für diesen sehr persönlichen Artikel.
Dein jugendliches Rebellentum hätte auch anders enden können. Ich freue mich für dich, dass du deinen Weg gefunden hast.
Ich war immer sehr angepasst, keine Rebellin. Das Reisen habe ich erst relativ spät für mich entdeckt. Aber spät ist nicht zu spät. Ich habe ähnliche Erfahrungen wie du gemacht, was die persönliche Entwicklung betrifft. Ich nehme viel mehr Dinge ganz gelassen, über die ich mich früher aufgeregt hätte. Ich habe das Vertrauen, das es irgendwie immer weitergeht. Und ich weiß zu schätzen, wie privilegiert wir sind, einfach durch den Zufall, der uns in Deutschland zur Welt kommen ließ.
Lateinamerika ist auch ein Lieblingsziel von mir, hier haben wir unsere ersten Erfahrungen im individuellen Reisen gesammelt.
Liebe Grüße
Gina
Hallo Gina,
Das freut mich, dass du dieser Erfahrungen gemacht hast und Dich auch persönlich geprägt hat. Wir Deutschen neigen ja immer zum Meckern und Schwarzsehen, dabei geht es den meisten wirklich gut. In Lateinamerika haben viele weniger, aber sind insgesamt glücklicher mit dem was sie haben.
Liebe Grüße
Hallo Daniel,
Was für eine interessante Lebensbeschreibung ! Bravo für diesen persönlichen Artikel und für alles, was Du bisher in Deinem Leben gemeistert hast !
Ich habe mich durch das Reisen auch verândert, bin mit wenig zufrieden und freue mich jedesmal, wenn ich neue Menschen mit neuen (Lebens-)Geschichten kennenlerne.
Liebe Grüsse aus Nord-Peru,
Martina
Vielen lieben Dank, Martina. Mit wenig zufrieden sein ist mir auch sehr wichtig, gerade wenn man weiß, wie es anderen geht auf der Welt. Liebe Grüße Daniel