Regen, nicht als Regen. Unaufhörlich prasselt es vom Himmel. Mit der Regenzeit ist mancherorts hier im Süden Mexikos nicht zu spaßen. Und so sitze ich seit drei geschlagenen Stunden gelangweilt im kleinen Busterminal der Kleinstadt Felipe Carillo Puerto.
Ich sitze fest. Denn das ist kein normaler Regen, wie wir ihn aus Deutschland kennen. Nein, dieser Regen ist wie eine Wand aus Wasser, lässt Straßen zu reißenden Flüßen werden, bringt das Leben zum Erliegen und drängt Menschen in ihre Behausungen.
Das Warten zerrt an den Nerven. Ich war frohen Mutes, als ich in der Morgensonne Tulums aufgebrochen bin. Und jetzt weiß immer noch nicht genau, wie ich meinen Zielort Chunhuhub erreiche. Dieser liegt fernab der Touristenorte der Riviera Maya mitten im Dschungel von Quintana Roo, dem südlichsten Staat Mexikos. Eine grobe Wegbeschreibung liegt auf meinem Smartphone, dessen Akkustand sich unaufhaltsam Richtung 0 % bewegt – shit. Dort steht: Nehme einen der blauen Kleinbusse. Doch von diesen ist weit und breit nichts zu sehen. Die Warterei ist nicht nur belastend, sondern auch einschläfernd. Seit sechs Uhr bin ich auf den Beinen, was sich langsam bemerkbar macht. Das sind diese Momente auf Reisen, die man getrost skippen möchte. Nicht zu wissen, wie es weitergeht. Müde und gereizt.
In dem kleinen Kiosk decke ich meinen Zuckerbedarf mit Cola und Snickers, schaue immer wieder gen Himmel. Doch der zeigt keine dieser schönen Farben, die er zu erzeugen vermag, sondern einen trostlosen Mix aus Grau, Dunkelgrau, gemischt mit Schwarz. Keine optimistische Kombi.
Auf Umwegen nach Chunhuhub
Eine halbe Stunde später ein Lichtblick in Form nachlassenden Regens. Ich nutze die Gunst der Stunde und wage mich aus dem Terminal in Richtung…ja, in welche Richtung eigentlich? Noch immer habe ich keine Ahnung, wo sich die Busse Richtung Chunhuhub befinden. Ich laufe los, orientierungslos. Passiere die kleine Polizeistation, die unscheinbare Kirche, das in bunten Buchstaben ausgefüllte Felipe Carillo Schild, das die mexikanische Tourimusbehörde mittlerweile an alle Orte verpflanzt, und sind sie noch so bedeutungslos.
Der Lichtblick am Himmel scheint auch die Menschen zu beleben. Einige trauen sich wieder auf die wassergetränkten Straßen. Ich stoppe eine Mutter mit Kind und frage sie nach den ominösen blauen Bussen. Natürlich bin ich völlig verkehrt. Sie zeigt in die gegengesetze Richtung. Drei Blocks und dann links. Gracias!
Es gibt Orte, an denen man sich als „Gringo“ irgendwie fehl am Platz fühlt. Diese winzige Busstation aka Hinterhofgarage gehört zu solchen. Ein mürrischer Kleinbusfahrer und fünf verschwitzte, finster dreinblickende Landarbeiter mit verschmierten Hemden. Man redet anscheindend nur das nötigste und auf meine Frage nach meinem Zielort ernte ich nur ein kaum wahrnehmbares Kopfnicken. Eine ältere Dame mit zwei riesigen, abgehalfterten Rollkoffern kommt noch hinzu und rundet die illustre Gesellschaft ab.
Na, dann kann es ja losgehen. 60 Kilometer landeinwärts und ich fühle mich wie in der Tokioer U-Bahn morgens um 8. Meine zwei Rucksäcke auf dem Schoß, bewegungsunfähig eingequetscht und Guns N´Roses dröhnt viel zu laut aus furchtbar knarrzenden Boxen.
Der Wagen kommt an einer Weggabelung zum Stehen. „Chunhuhub“ schreit der Mürrische, während ich verdutzt aus dem Fenster sehe. Keine Behausungen. Nur Grün rundherum. Ich frage vorsichtig, was ich denn hier soll und er meint, dass mich gleich ein Taxi ins gelobte Dorf fährt. Er müsse in eine andere Richtung. Ooook. Viel Vertrauen habe ich zu ihm bislang nicht aufgebaut. aber mir bleibt keine andere Wahl. Verdutzt bleibe ich am Straßenrand zurück.
Siehe da. Ein rostiges Taxi kommt vor mir zum Stehen. Ich schultere meine Rucksäcke, verfrachte sie in den Kofferraum und bin froh über den freundlich dreinblickenden Mann am Steuer, der genau weiß, wo ich hin möchte. Es geht zehn Kilometer weiter durch das Hinterland Yucatans, bis ich im Centro Ecoturistico Kiichpam Kaax ankomme.
Maya Medizin Tour – Pflanzen als Heilmittel
Mittlerweile ist es 16:45 und die Maya Medizin Tour soll bereits um 17 Uhr stattfinden. Bruchlandung. Margarita, zuständig für den Eco Tourismus der Organisation, empfängt mich mit einer Seelenruhe und die Strapazen meiner Anreise sind schnell Geschichte. Es ist so schön hier. Eine Eco Lodge mitten im Dschungel, mit Haupthaus, Bar, Swimming Pool und kleinen, gut ausgestatteten Hütten. Unsere Tour wird spontan erstmal auf 18 Uhr verschoben, so dass ich mich mit meiner Unterkunft der nächsten zwei Nächte vertraut machen kann. Großes Bett, Badezimmer mit Dusche und ein undurchlässig scheinendes Mosquito-Netz – ganz wichtig in dieser Gegend. Nach einer ausgiebigen Dusche geht es zur Maya Medizin Tour.
Hier wird unserer Gruppe von der Dorfältesten gezeigt, wie sich aus den hier wachsenden Pflanzen, völlig unabhängig der Pharmaindustrie, wirksame Medizin gewinnen lässt. Die Natur ist wahrlich faszinierend. Vanille wurde als Potenzmittel eingenommen, Pfeilwurz diente den Maya bei Hautkrankheiten, welche sie in ihrer Sprache mit kak bezeichneten. Es gibt Pflanzen gegen Neurodemitits, Magenschmerzen, Bronchitis und sogar Krebs. Mir wird in diesem Moment bewusst, dass wir Menschen wieder einen stärkeren Bezug zur Natur aufbauen müssen. Etwa 5000 Pflanzen soll es in Mexiko geben, die eine heilende Wirkung besitzen. Eine stolze Zahl. Wir bekommen eine Kostprobe in Form eines Damaina Tees. Damaina heißt auf Maya misib kok (Asthma-Besen) und wird als Tee bei Asthma und Bronchitis getrunken. Nicht besonders lecker, aber das muss bei Medizin wohl so sein.
Maya Food Tour – Wer macht die schönsten Tamales?
Am nächsten Morgen geht es früh los. Im Garten des Eco-Zentrums hebe ich mit zwei französischen Gästen ein ca. zwei mal zwei Meter großes Loch aus. Mit Holz und Steinen gefüllt wird es uns später als Erdofen dienen. Margerita und eine weitere Frau bereiten in der Zeit die Füllung und den Teig für die Tamales zu. Tamales sind ein traditionelles mexikanisches Gericht, das schon seit über 5000 Jahren zubereitet wird. Nach der schweißtreibenden Gartenarbeit formen wir Masa (Mais)- Teig zu kleinen Schälchen mit etwa 10 cm Durchmesser. Gefüllt werden sie mit einer scharfen Sauce und Hähnchenfleisch. Anschließend kommt ein Teigdeckel drauf, wird in Bananenblätter eingewickelt und mit Schnüren aus Pflanzenfasern wie ein Paket verschnürt.
Nach anfänglichen Schwiergkeiten mit dem dünnen Teig sind wir nach den 50 Tamales, die wir für die ganze Gemeinschaft herstellen, zu wahren Profis mutiert. Der Kampf um Mexicos next Top-Tamales ist eröffnet und wir ernten ein dickes Lob der Frauen für unsere Teigformkünste. Wir einigen uns auf ein Unentschieden im Schönheitswettbewerb. In unserem zuvor gebuddeltem Loch hat die Glut mittlerweile Betriebstemperatur. Wir verfrachten die Tamales in unseren Naturofen. Erde drauf – geschafft!
Besuch bei den Dschungel-Bienen
Während unser Mittagessen gemütlich unter der Erde brutzelt, besuchen wir die Bienen des Eco-Zentrums. In kleinen Holzkisten sind ingesamt vier Völker untergebracht. Kunstvolle Wabenbauten füllen die Kiste aus. Es herrscht geschäftiges Treiben. Eine Biene ruht erst, wenn sie tot ist, meint Imker Rodrigo. Unzählige der fleißigen Nektarsammler krabbeln durch die Kiste, die sogenannten Nestwächter schwirren über unseren Köpfen. Bienen haben ein ausgeklügeltes Sozialsystem, in dem jede eine bestimmte Aufgabe erfüllen muss. Bis zu 10 Kilometer legen die Sammelbienen zurück, um Blütensaft aufzulesen und nach Hause zu transportieren, wo die Stockbienen bereits auf die wertvolle Ware warten und sie zu Honig weiterverarbeiten. Wir erhalten eine Kostprobe des süß-klebrigen Goldsaft. Sehr lecker. Genau wie das Mittagessen mit unseren mittlerweile fertigen, selbstgemachten Tamales.
Die Tränen des Baumes
Rodrigo ist nicht nur Imker. Der stets gut gelaunte und agile 74-jährige ist auch für das Sammeln von Chicle verantwortlich. Chicle ist ein Rohstoff für Kaugummis, der aus dem weißen Milchsaft des Sapodillbaums gewonnen wird. Es geht tief in den Dschungel. Rodrigo übernimmt, die Machete in der rechten, ein Seil in der linken Hand, die Führung. Alleine wären wir völlig orientierungslos und hoffnungslos verloren. Nach einem einstündigen Fußmarsch kommen wir zu Bäumen mit auffälligen Narben entlang des Stammes.
Zur Gewinnung von Chiclesaft wird der Baum angezapft, indem in die Rinde mit der Machete ein zickzackförmiger Kanal eingeritzt und der herauslaufende Saft aufgefangen wird. Zur Besteigung des Baumes wird vom Chiclero ein Seil und pure Muskelkraft verwendet. Mit den Füßen am Stamm, das Seil um den Körper geschlungen geht es Meter für Meter hinauf, um die Kanäle zu schneiden. Für Rodrigo eine Leichtigkeit. Wir versuchen es ihm nachzuahmen und scheitern kläglich. Nicht einer unserer 8-köpfigen Gruppe schafft es auch nur, sich ein Stück fortzubewegen. Einige landen unter dem lauten Gelächter unseres alten Kletterkünstlers auf dem Hosenboden. Dann doch lieber Tamales formen!
Abschließend kann ich sagen, dass mir die drei Tage im Centro Ecoturistico Kiichpam Kaax sehr gut gefallen haben und ich unheimlich viel über das Leben im Einklang der Natur lernen durfte. Das Zentrum habe ich in meiner Tätigkeit als Ambassador für Visit.org besucht. Diese Non-Profit Agentur aus New York vermittelt nachhaltige Touren in vielen Ländern. Die Einnahmen fließen zu 100% an die Organisationen vor Ort.
2 Kommentare
Hallo Daniel,
ein schöner Artikel über deine Erlebnisse. Schade, dass das Wetter am Anfang nicht mitgespielt hat. Ich finde, es ist wichtig über die Kraft der Heilpflanzen zu sprechen. Die Meisten greifen sofort zu Medikamenten aus der Apotheke. Man darf es nicht vergessen: wir Menschen haben alles um uns herum, die wir zum Leben brauchen. Wir brauchen gar nicht die künstliche Produkte. Nur ein gewöhnlicher Mensch, der gerade krank ist, muss schnell wieder gesund sein. Dabei wirken die Tabeltten schneller als eine Pflanze. 🙁 Ich greife trozdem lieber auf natürliche Mittel zurück.
Das Bild über die Tamales schaut toll aus. Tamales sind echt lecker! 🙂
Viele Grüße,
Ildi
Hallo Ildi,
Danke für deine Worte. Genau das habe ich auf meinen Reisen auch gelernt. Die Kraft der Natur ist so wertvoll und wir in den Industriestaaten sollten das viel mehr nutzen. Da steckt natürlich aber auch eine Milliardenindustrie dahinter, die aus ihren chemischen Mittelchen Profit machen wollen, obwohl sie schlechter wirken als Heilpflanzen. Daher ist es wichtig, die Menschen aufzuklären. Und ja, Tamales sind einfach yummi! 🙂
Liebe Grüße Daniel