Tausende von Reisenden aus dem Ausland besuchen die Geysire, Salzebenen, Oasen und Vulkane der nordchilenischen Atacama-Wüste, aber nur wenige besuchen die beiden von Menschenhand geschaffenen Attraktionen in der Region Iquique: die faszinierenden Geisterstädte von Humberstone und Santa Laura.
Gelbe Schilder mit der Aufschrift „Tsunami-Gefahrenzone“ leiten unser Auto entlang der Hafenzone von Iquique. Im Landesinneren klettert das Auto die 800 Meter hohe Straße entlang der mächtigen Sanddüne hinauf, die den Hintergrund der Stadt bildet, und fährt langsam an einem Abschnitt der Autobahn vorbei, der bei dem Erdbeben der Stärke 8,2 im April 2014 eingestürzt ist.
Hinter Iquique verflüchtigt sich der Morgennebel, die Hitze nimmt zu und die ausgedörrte Atacama dehnt sich in die Ferne aus. Dieser Teil Nordchiles ist einer der trockensten und unwirtlichsten Orte auf der Erde; so unwirklich, dass die NASA ihn für Tests ihrer Mars-Erkundungsfahrzeuge nutzt.
Santa Laura und seine Geschichte
45 km landeinwärts von Iquique, bietet sich uns ein seltsamer Anblick: Mitten in der Wüstenebene liegt ein riesiges rostiges Skelett, das wie ein gestrandetes Schiff aussieht. Langsam tauchen weitere Strukturen auf: Eisenbahnschienen, Hütten, Lagerhäuser und staubige Straßen. Kein einziger Mensch ist in Sicht.
Diese Geisterstadt, Santa Laura, ist eines der Überbleibsel einer weitgehend vergessenen Industrie, die die Atacama-Wüste einst zu einem der wertvollsten Orte der Welt machte. Ende des 19. Jahrhunderts waren die riesigen Salpeter- (Kaliumnitrat-) Vorkommen in der Region – die damals zu Peru und Bolivien gehörte – in Europa und Nordamerika sehr gefragt, um sie als Dünger und Schießpulver zu verwenden. Es entwickelte sich eine florierende Industrie, und raffgierige Nitratbarone – viele von ihnen Briten – nutzten die satten Gewinne, um opulente Villen in Städten wie Iquique zu bauen. Im Jahr 1878 brach nicht zuletzt wegen der Bodenschätze der Pazifikkrieg zwischen Chile, Peru und Bolivien aus: Fünf Jahre später ging Chile als Sieger hervor, nachdem es alle Nitratgebiete erobert hatte.
Von den etwa 200 Salpeterwerken (oficinas salitreras), die in der Blütezeit der Industrie, um 1915, betrieben wurden, ist heutzutage nur noch eines – María Elena – in Betrieb. Die anderen sind verschwunden, wurden von allem Wertvollen befreit und schließlich von der Wüste verschluckt, nachdem der Erste Weltkrieg das Ende des Nitratbooms eingeläutet hatte. Durch eine Laune des Schicksals wäre es Santa Laura und dem benachbarten Humberstone genauso ergangen.
Nachdem die Minen in den 1960er Jahren aufgegeben wurden, wurden sie von Obdachlosen besetzt. Überall lag Müll, Graffiti und die mumifizierten Körper toter Hunde. Santa Laura und Humberstone wurden dann von einem Geschäftsmann gekauft, der die Überreste als Schrott verkaufen wollte. Aber er ging zuerst in Konkurs, was sie tatsächlich bewahrte. Sie wurden von einer gemeinnützigen Organisation übernommen, gesäubert und 2005 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt.
Humberstone – eine Geisterstadt inmitten der Wüste
Ein paar Kilometer weiter befindet sich das größere und aufwändig restaurierte Humberstone. Es wurde von der chilenischen Regierung übernommen, die es 1932 nach dem britischen Nitratmogul James „Santiago“ Humberstone benannte. In ihrer Blütezeit hatte die Stadt etwa 3500 Einwohner.
Ein Großteil der Architektur ist im Art Déco-Stil gehalten und verleiht Humberstone das vage Gefühl einer amerikanischen Kleinstadt. Eines der eindrucksvollsten ist mit Briefen aus jener Zeit gefüllt, die das tägliche Leben beleuchten: Ein Brief berichtet von einem Streik der Hausfrauen, die sich weigerten, für ihre Männer zu kochen, bis sie bessere Holzkohle für die Öfen erhielten; ein anderer beschwerte sich über die Kosten für den Bau eines neuen Tennisplatzes.
Im Stadtzentrum zeigen die erhaltenen Einrichtungen, dass sich die Bedingungen in den 1920er und 30er Jahren langsam verbessert haben. Es gibt ein großes, leeres Schwimmbad mit Sprungbrett, eine Schule mit hölzernen Schulbänken und eine Uhr, die permanent auf 16 Uhr steht.
Mit Blick auf den Hauptplatz befindet sich das alte Hotel mit Gästezimmern, einem Restaurant, einer Bar, einem Billardzimmer und einem separaten Eingang auf der Rückseite für die Arbeiter, denen es verboten war, den Vordereingang zu benutzen. Die Bedingungen mögen sich verbessert haben, aber die strenge Hierarchie in den Oficinas blieb trotzdem bestehen.
Das Highlight von Humberstone ist jedoch das prächtige (und angeblich gespenstische) Theater. Drinnen, auf einem Holzsitz sitzend, ist es seltsam still, so als wäre gerade erst eine Vorstellung zu Ende gegangen.
Diese langsam verfallenden Gebäude vermitteln den Eindruck, dass die lebensfeindliche Atacama gezähmt wurde – aber ein fünfminütiger Spaziergang zum Industriegebiet erinnert an die Härte der Umgebung. Es ist glühend heiß, es gibt keinen Schatten und der Wind peitscht vorbei und hüllt uns in einen Schimmer von Staub und Schmutz. Hinter den Fabriken und Lagerhäusern blickt eine einsame, rostige Lokomotive auf die Wüste hinaus bis zu den schneebedeckten Bergen der Anden.
2 Kommentare
Hallo Daniel,
von Chile habe ich schon viel gesehen, jedoch noch nicht die Geisterstadt mitten in der Wüste. Durch den Beitrag bin ich auf Deinen Blog gestoßen und bin sehr fasziniert von Deiner Art zu leben bzw. leben zu können. Ich war in den 1960er Jahren ein Jahr in Lateinamerika und bin damals viel allein gereist (später öfter mit Mann oder Tochter), und das hat mein ganzes Leben positiv verändert und geprägt, auch beruflich, und ich habe immer noch Freunde in Buenos Aires und Chile und virtuelle Freunde in Mexiko und Chile. Lateinamerika hat mich nie mehr losgelassen. Mach weiter so, alles Gute, Marie
Hallo Marie, Danke für die netten Worte und der Schilderung deiner Erlebnisse. In den 60er Jahren war das Reisen ja noch mehr Abenteuer als heute. Wie schön, dass du nach wie vor eine Verbindung nach Lateinamerika hast – einfach ein toller Kontinent! Viele Grüße Daniel